Erhaltung regionaler Kulturpflanzenvielfalt

Einer der nachhaltigsten Wege zum Schutz traditioneller Sorten ist deren Nutzung: Was angebaut, geerntet und gegessen wird, bleibt erhalten. Schutz durch Nutzung!

Im November 2019 startete bei uns im Umweltbildungshaus Johannishöhe das Projekt zur Erhaltung und Förderung regionaler Kulturpflanzenvielfalt, gefördert vom europäischen LEADER Programm für die Projekt-Region Silbernes Erzgebirge. Darüber freuen wir uns sehr.

Sortenvielfalt ist das Werk von Generationen

Bäuer*innen und Gärtner*innen haben über die vergangenen Jahrtausende zahlreiche Sorten selektiert, kultiviert und somit biologische Züchtung unternommen. Das heißt, dass die Pflanzen einer Sorte innerhalb der Ökosysteme Acker und Garten unter lokalen Freilandbedingungen gewachsen sind und an die dortigen Wachstumsbedingungen angepasst sind. Zudem haben Anfang des 20. Jahrhunderts viele Züchter*innen durch ihre engagierte Arbeit zu dem Großteil unserer heutigen Kulturpflanzenvielfalt beigetragen.
Diese Sorten wurden über Generationen hinweg genutzt, weitergegeben, getauscht, vermehrt und gezüchtet. Dadurch ist eine sehr große Vielfalt an Sorten, aber auch eine genetische Vielfalt innerhalb der Sorten entstanden.

Was ist passiert?

Seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts haben wir weltweit circa 75 Prozent der Sortenvielfalt verloren (Quelle: FAO 1993). Wie konnte es zu so einem drastischen Verlust in den letzten 100 Jahren kommen?
Die Gründe dafür sind vielfältig und hängen eng miteinander zusammen. Einige davon sind hier aufgelistet.
Unser Lebensstil in Europa und Nord-Amerika hat sich gravierend in den letzten 100 Jahren gewandelt. Angefangen bei der Verstädterung im Zuge der Industriellen Revolution, zogen immer mehr Menschen in die Städte, um dort Arbeit zu finden. Dies erforderte einen Zustrom an Nahrungsmitteln vom Land in die Stadt. Es wurden neue Sorten gezüchtet, die die Transportwege unbeschadet überstanden und zudem länger lagerfähig waren.
Um die Ernährung der wachsenden Stadtbevölkerung zu sichern, mussten die neuen Sorten, sowie die Bewirtschaftung der Äcker auch ertragreicher werden. Die Landwirtschaft wurde durch neue Technologien modernisiert und industrialisiert.
Mit dem Beginn der industriellen Landwirtschaft wurde immer mehr auf homogene Pflanzensorten gesetzt, die immer höhere Erträge erbringen. Homogenität bedeutet hier, dass alle Pflanzen einer Sorte die gleichen Eigenschaften zu Tage bringen (z.B. jede einzelne Pflanze ist zum gleichen Zeitpunkt erntereif). Die Pflanzen unterscheiden sich genetisch kaum noch voneinander. So wird die genetische Vielfalt innerhalb der Sorte und zwischen den einzelnen Pflanzen zunichte gemacht.
Hybridisierungszüchtungen versprechen noch höhere Erträge: Zwei Sorten werden gekreuzt und die daraus folgende Generation erbringt einen höheren Ernteertrag. Allerdings sind diese Hybridsorten nicht „samenfest“, ihre spezifischen Eigenschaften lassen sich nicht vermehren.
Zudem hat sich unser Verbraucherverhalten insoweit geändert, dass viele Menschen vermehrt Obst und Gemüse aus Supermarktketten kaufen. Dieses Obst und Gemüse gleicht sich nicht nur im Form, Aussehen und Geschmack, es muss außerdem transport- und lagerfähig sein, da es ganzjährig verfügbar sein muss und somit von weit her transportiert werden kann. Im Vergleich steht der bäuerliche Hofladen, in dem es das eigene Obst und Gemüse in der jeweiligen Saison zu kaufen gibt. Diese Sorten unterscheiden sich nicht nur in ihren äußerlichen Eigenschaften, sondern bieten auch eine größere Vielfalt an Geschmack und Inhaltsstoffen. Der Schutz regionaler, traditioneller Sorten beginnt bei der Nachfrage und der Kaufentscheidung des Konsumenten.

Warum ist es (uns) so wichtig, die regionale Kulturpflanzenvielfalt zu erhalten?

Die Vielfalt der Kultur- und Nutzpflanzen ist für die Ernährungssicherheit der Menschenheit bedeutsam. Das Verschwinden von mittlerweile 75 Prozent der Sorten ist ein Alarmzeichen. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist der Erhalt unserer Sortenvielfalt für die künftige Ernährungssicherheit vor allem in den Zeiten der Klimakrise wichtig.

Eine große Sortenvielfalt und genetische Vielfalt innerhalb einer Sorte erhöhen die Chancen auf eine mögliche Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen z.B. längere Trockenheitsphasen im Sommer sowie sinkender Wasserspeicher im Boden, neue Schädlinge (Pilze, Insekten, Unkräuter).

Die Erhaltung von Kulturpflanzenvielfalt ermöglicht den Menschen und Gesellschaften Ernährungssouveränität. Bäuer*innen und Gärtner*innen können samenfestes Saatgut selber vermehren, nutzen und züchten. Dadurch ist wiederum eine Anpassung der Pflanzen an die lokalen Wachstumsbedingungen möglich und die Bäuer*in macht sich nicht davon abhängig, das Saatgut von Großkonzernen zu kaufen.
Zudem leiden viele Menschen heutzutage unter Lebensmittelunverträglichkeiten und Allergien, die zum Teil mit den Züchtungen der Hochleistungshybriden zusammenhängen. So vertragen manche Menschen nur noch die alten Apfelsorten und reagieren empfindlich bis allergisch auf neuere Hochleistungssorten.

Projektziel
Das Ziel des Projektes ist es, Verbraucher*innen anzusprechen und für regionale Kulturpflanzenvielfalt und traditionelle bzw. historische Sorten zu sensibilisieren. Wir möchten Menschen dazu motivieren, aktiv zu werden, indem sie Saatgut selber vermehren und tauschen, und auch biologisch angebaute alte Obst- und Gemüsesorten kaufen und essen.

Denn: nur gemeinsam können wir dieses Kulturerbe erhalten!

Aktivitäten

Konkret planen wir dieses Ziel durch folgende Teilprojekte und Aktivitäten umzusetzen und zu erreichen:

Informationsveranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit

Nur durch das wiedergewonnene und weitergegebene Wissen und das praktische Anbauen in den eigenen Gärten können wir die von unseren Vorfahren gezüchtete Sortenvielfalt erhalten und vermehren. Daher möchten wir dem Thema Kulturpflanzenvielfalt und dessen Erhalt mehr Sichtbarkeit verschaffen und wollen dies durch einen Informationsstand und öffentliche Veranstaltungen erreichen. Angesprochen sind hier die interessierten Verbraucher*innen auf Hoffesten, Dorf- und Stadtfesten oder Regionalmärkten und Kleingärtner*innen.
Referent*innen und erfahrene Samengärtner*innen von der Johannishöhe können auch für Vorträge auf eigenen Veranstaltungen gebucht werden.

Sortenpat*in werden – Erhaltungsarbeit unterstützen

Zudem gibt es für alle, denen das Thema nah am Herzen liegt, die Möglichkeit eine oder auch mehrere Sorten zu „adoptieren“ und somit als Sortenpat*in den Anbau und die Erhaltungsarbeit zu unterstützen. Am einfachsten geht das gleich online.

Anfragen für Vorträge, den Informationsstand oder um Sortenpat*in zu werden, können gerne an lisa.becker@johannishoehe.de oder info@johannishoehe.de gestellt werden.

Schüler*innen pflanzen die Gemüsevielfalt

In einem partizipativem Schulprojekt wird jede*r Schüler*in in einer Klasse eine eigene Salatsorte selber säen, pflegen, ernten und verkosten dürfen. Dass in einer Klasse von durchschnittlich 25 Schüler*innen auch 25 verschiedene Salatsorten zu Tage kommen, zeigt ganz praktisch, welche Sorten-Vielfalt in einem einzigem Gemüsetyp steckt. Hier suchen wir noch Schulen mit eigenem Schulgarten in unserer Nähe, die an der Entwicklungsphase ab 2020 teilnehmen wollen. Salat ist nur ein Beispiel. Wir wollen in der Pilotphase auch andere Pflanzenfamilien ausprobieren. Sprechen Sie uns an!!

Neue Saatguttauschbörsen brauchen wir! – Vernetzung regionaler Akteure

Ein weiteres Ziel des Projektes wird es sein, neue Saatgutauschbörsen im Projektgebiet „Silbernes Erzgebirge“ zu initiieren und zu etablieren. Saatguttauschbörsen bieten die Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch nicht nur von selbstgezogenem, samenfesten Saatgut, sondern auch Erfahrungen im Anbau und in der Verarbeitung.

In Kooperation mit dem Landschaftspflegeverband (LPV) Sächsische Schweiz-Osterzgebirge e.V. hat im Frühjahr 2022 die erste neue Tauschbörse in den Räumlichkeiten des LPVs im Lindenhof in Dippoldiswalde/Ulberndorf stattgefunden. Im Frühjahr 2022 fand auch die erste Saatguttauschbörse in der Ölmanufaktur und Hoflanden vom Huttenberg in Oberschöna bei Freiberg statt. Das Ende der Gartenzeit läutet seit Herbst 2020 die Saatgutauschbörse  im Botanischen Garten Schellerhau bei Altenberg ein.
Wegen den Umständen der Corona-Lage sind wir 2020 kreativ geworden. Anstatt der traditionellen Saatguttauschbörse vor Ort in Tharandt (und weiteren Orten im Silbernen Erzgebirge), haben wir die erste digitale Saatguttauschbörse in der Region organisiert und durchgeführt.

Förderung

Dieses Projekt (Ident. Nr. 582018014401LDR) wird gefördert im Rahmen des Entwicklungsprogramms für den ländlichen Raum im Freistaat Sachsen (EPLR 2014 – 2020). Das Projekt wurde für den Zeitraum November 2019 – November 2021 bewilligt.

Zuständig für die Durchfuehrung der ELER-Förderung im Freistaat Sachsen ist das Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL), Referat Förderstrategie, ELER-Verwaltungsbehörde.